Vortrag am 24.05.22 im Rahmen der Projektwoche „AFRIKA“ an der Schule in Inchenhofen - gehalten von Dr. Wolfgang Lutz für die Eltern
Die Situation der Menschen in Afrika in Zeiten von Hungersnöten und Krieg in der Ukraine - und was macht dies mit unserem Hilfsprojekt von UBUNTU in Kasuna/Kenia.
Wir wissen alle, Afrika ist im Augenblick etwas aus unserem Blickfeld geraten und wir schauen alle entsetzt und ziemlich fassungslos nach Osten in die Ukraine. Putin, ein KGB-Scherge, der von Grund auf gelernt hat Menschen zu töten, überzieht dieses freie und autonome Land mit einem barbarischen Krieg, bombardiert bevorzugt Krankenhäuser, Schulen, Miethäuser mit hunderten unschuldiger Familien, also sogenannte weiche Ziele, läßt Zivilbevölkerung foltern und ermorden und versucht dies zu legitimieren mit dem Hinweis auf Nazismus und Faschismus, Begriffe, die sein eigenes Vorgehen in diesem Kriege selbst am besten kennzeichnen. Unser Hauptaugenmerk ist jetzt völlig zurecht auf das große Leid der ukrainischen Bevölkerung gerichtet. Millionen von vor allem Frauen und Kindern sind auf der Flucht, haben alles an Besitz verloren und versuchen nun verzweifelt irgendwo an einem sicheren Ort unterzukommen.
Diesem personifizierten, absoluten Bösen brandet nicht nur in unserem Land, sondern in allen europäischen Ländern ein Tsunami der Hilfsbereitschaft entgegen. Solidarität, ein Begriff, den man in den letzten Jahren kaum auf der politischen Agenda hatte oder der z.B. in der Presse sehr selten auftauchte, ist plötzlich zum Innbegriff politischen und sozialen Handelns geworden. Wenn wir an die Flüchtlingslager in Moria und Kata Tepe denken, wo die Flüchtlinge unter widrigsten Umständen hausen mussten ohne sauberes Trinkwasser und ausreichend Essen - das hat sich jetzt im Zusammenhang mit den Flüchtlingen aus der Ukraine schon grundlegend geändert.
Bemerkenswert auch die Einigkeit bei NATO und EU darin, die augenblickliche Situation nicht in einen 3. Weltkrieg eskalieren zu lassen, sondern Rußland wirtschaftlich zu isolieren und dadurch in die Knie zu zwingen - das unterscheidet die Mitglieder der NATO und der EU von den
„ Schlafwandlern“ ( so Christofer Clark) in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, wo man mit Hurra in den Krieg zog und Millionen von Menschen ihre Heimat nicht wiedersahen. Ganz zu schweigen von der Haltung unserer Bevölkerung zur Frage Göbbels damals im Berliner Sportpalast „Wollt ihr den totalen Krieg?“
Der augenblickliche Krieg in der Ukraine hat natürlich Folgen, die unsere Volkswirtschaften schwer treffen, worunter wiederum besonders die sozial schwachen Menschen leiden müssen.
Dies trifft noch viel mehr zu in den Ländern Afrikas. Die Ukraine ist ja mit ca. 8-10% der Weltproduktion an Weizen und Russland mit 20% die Kornkammer Europas . Das heißt natürlich auch, daß die Einfuhren an Weizen und Mais, die Afrika zu 30-40% von dort bezieht, dieses Jahr gegen null gehen werden. Die Ausfuhrhäfen am Asowschen Meer sind alle zerstört, wegen unterschiedlicher Spurbreiten ist der Transport nach Constanza (in Rumänien) über die Schiene bislang unmöglich. Es explodieren nicht nur die Preise für alle Grundnahrungsmittel, es herrscht ein riesiger Mangel an diesen in Ländern, die sowieso von den Folgen der Klimakatastrophen am meisten getroffen werden, obwohl sie diese ja bekanntermaßen am wenigsten verursacht haben.
Wir dürfen also nicht den Fehler machen, die Komplexität der Ereignisse in Europa und Afrika zu ignorieren. Es hängt alles mit allem zusammen. Daß die Zahl der prekären, am Existenzminimum lebenden Haushalte in Afrika wesentlich höher ist als hier in den Ländern Europas, ja der westlichen Welt, bedeutet im Grunde jetzt schon, daß wir mit größten Hungersnöten in Afrika in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren rechnen müssen.
Das heißt im Klartext, die Zahl der an Hunger und Unterernährung sterbenden Menschen wird vermutlich die Zahl der Toten in diesem brutalen Krieg noch bei weitem übertreffen. Auch dafür ist Putin mit seinen Schergen schuldig zu sprechen, nach Möglichkeit durch ein internationales Kriegsverbrechertribunal.
Wir wollen jetzt schauen - wie sieht es eigentlich aus in Afrika?
In den letzten Jahren wurden vor allem die ariden Zonen am Horn von Afrika (Eritrea, Somalia, Nordost-Kenia, Sudan, Südsudan, Äthiopien) von großer Trockenheit und Dürre heimgesucht. Dazu kamen zu allem Unglück riesige Heuschreckenschwärme, die diese Länder heimsuchten und die sowieso schon arme Vegetation vernichteten. Viele Nomadenvölker haben dadurch mit dem Verlust ihrer Tiere ihre Existenz verloren: finden die Ziegen und Rinder keine Nahrung, dann leiden die Menschen Hunger, die Mütter können ihre Säuglinge nicht mehr ausreichend stillen, das bedeutet, die Säuglinge und Kleinkinder sterben als erste. Eine Dysenterie (Magen-und Darmerkrankungen) verursacht durch verschmutztes Trinkwasser führt dann sehr schnell zum Tode. Auf der anderen Seite hatten wir im Schwemmland um den Victoriasee seit 2019 riesige Überschwemmungen. Ursache dafür waren heftigste Zenitalregen am Äquator, der Abfluss des Sees bei Jinja in Uganda in den weißen Nil war durch Wasserhyazinthen und angeschwemmte Landmassen regelrecht verstopft, so dass der Pegel bis zu 10 m über normal anstieg. Eine Entwässerung der Flüsse im Hinterland war damit unmöglich. Hunderte von Lehmhütten mit all dem ärmlichen Hab und Gut der Menschen wurden zerstört und viele Menschen haben dabei alles verloren. Diese über fast 3 Jahre andauernden Überschwemmungen machten z.B. den Anbau von Mais völlig unmöglich und für unser Hilfsprojekt war es in dieser Zeit am wichtigsten, für neue Unterkünfte und für die Versorgung mit Nahrungsmittel zu sorgen.
Dass bei solchen Überschwemmungen die Malaria tropica epidemieartig kursiert und sich die Opfer vor allem unter den Kleinkindern sucht und findet, ist zwangsläufig. Ein dreijähriges Kind spielt am Morgen mit seinen Geschwistern völlig normal ohne irgend ein Krankheitssymptom, am Abend kann es tot sein, wenn die Behandlung mit den entsprechenden Medikamenten zu spät einsetzt. Wir haben dies in Kasuna in unserer unmittelbaren Nachbarschaft erlebt, ein Mitarbeiter hat auf diese Weise sein Kind verloren.
Auf Grund dieser Überschwemmungen mussten wir uns vor allem darauf konzentrieren, Nahrungsmittel zu beschaffen und zu verteilen und für sicheren und trockenen Wohnraum zu sorgen mit neuen Matratzen, Decken, Moskitonetzen usw.
Zentraler Schritt war dabei die Schulspeisung für ca 1400 Schulkinder in Kasuna und dem von den Überschwemmungen am meisten betroffenen Ort Ombaka. In diesem Schulspeisungs-Programm wurden natürlich auch die bedürftigen alten Menschen und die Familien, die alles verloren hatten, mit einbezogen.
Zerstörte Lehmhütten in Ombaka konnten wir durch Wellblechhütten auf sicherem Terrain in Kasuna ersetzen.
Für Schulspeisung haben wir seit 2019/20 monatlich ca 10000.-€ ausgegeben. Umgerechnet auf die Zahl der Kinder kostet damit ein Mittagessen ungefähr 30-35 Cent. Damit werden die Kinder satt und es werden vor allem die kinderreichen Familien entlastet, die sehr oft mit 1€ / Tag auskommen müssten.
Auf dem Speiseplan stehen die Hauptnahrungsmittel für Afrikaner: Ugali (Maismehl mit Wasser angerührt und gekocht), Bohnen, Linsen, Omena ( kleine getrocknete Fische als Proteinlieferanten), Sukumawiki( Spinat ähnlich), Erbsen und Reis. Das sind die Afrikaner gewohnt und damit sind alle zufrieden und werden wenigstens einmal am Tag richtig satt. Unsere Frauengruppe ist in der Schulküche zugange und sorgt sich auch um die alten und besonders schwachen Menschen im Dorf, die ihr Essen geliefert bekommen.
Durch zwingende Maßnahmen gegen Überschwemmungen und Beschaffung von Lebensmitteln und durch große Einschränkungen durch die Corona- Pandemie sind andere Aktionen wie Catering durch die Frauengruppe z.B. bei Beerdigungen und Hochzeiten ausgefallen. Solche Veranstaltungen, wo normalerweise 300-400 Menschen zu versorgen sind, waren in Coronazeiten verboten, vor der Pandemie waren das gute Möglichkeit für den eigenen Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Wir hatten aus Deutschland das entsprechende Equipment geliefert an Töpfen, Tellern, Besteck, Gläsern usw. Ein Lockdown über ein ganzes Jahr hat vor allem die Kinder und Jugendlichen getroffen. Durch den Ausfall des Unterrichts fehlte es an Struktur im Alltag für die Jugendlichen. Um ein Abdriften in Kriminalität, Alkohol und Drogen zu verhindern und neue Ziele zu setzen, gründeten wir Fußballmannschaften aller Altersklassen, besorgten für diese Trikots und Fußballschuhe, zum großen Teil gespendet von deutschen Vereinen im Umkreis von Friedberg, engagierten Trainer, die regelmäßig mit den Mannschaften auf Turniere fahren und ins Trainingslager. Diese Maßnahmen sind sehr erfolgreich, sie dienen der Sozialisierung der Kinder nach dem Motto „Einer für alle - alle für einen“ und sie bringen auch die Eltern und die Erwachsenen des Dorfes zusammen.
Sie wissen ja alle, der Name unseres Vereins in Friedberg ist UBUNTU e.V., UBUNTU ist ein Wort aus der Bantu-Sprache und wurde von Bischof Tutu in Südafrika in Zeiten der Apartheit als ein Hauptmotiv gewählt und bedeutet soviel wie:“ Mir geht es nur dann gut, wenn es meinem Nachbarn auch gut geht.“ Wir sind nun seit 12 Jahren in Kasuna/Kenia unterwegs und versuchen diesen Gedanken so gut es geht umzusetzen.
Im Lauf der Zeit haben wir einen Kindergarten gebaut, eine Schulküche mit Dininghall, eine Berufsschule für Schneiderei, Friseure, Schreiner, Automechaniker. Es geht uns vor allem darum, den Jugendlichen eine Perspektive zu geben in ihrer Heimat, dann brauchen sie diese nicht verlassen und sich auf den Weg nach Europa machen. Hilfe vor Ort zur Verbesserung der Infrastruktur in den armen Regionen und der Verbesserung der Krankenversorgung für alle diejenigen, die sich eine Krankheit schlicht und ergreifend nicht leisten können, weil sie keine Krankenversicherung haben, keine Rücklagen haben, weil sie von der Hand in den Mund leben müssen, d.h. sie brauchen ihr Geld, wenn sie überhaupt die Möglichkeit haben, Geld zu verdienen, für das Essen ihrer Familien - das alles zu verbessern und die Familien gleichzeitig zu entlasten - das ist unser Ziel, das ist das Ziel und die Aufgabe von Ubuntu!
Nun wissen wir ja alle, dass in den Jahrzehnten der Unabhängigkeit afrikanischer Staaten von den Kolonialmächten Milliarden an Dollars in die Länder der sogenannten „Dritten Welt“ geflossen sind, deklariert als sogenannte Entwicklungshilfe. Das Resume, die Erkenntnis aus dieser Entwicklungshilfe ist ziemlich ernüchternd: die Schere zwischen arm und reich ist in diesen Ländern noch viel weiter auseinander gegangen als in den reichen Ländern, den Armen haben diese Hilfen nichts, aber auch gar nichts gebracht. All diese „Hilfsgelder“ sind versickert auf den Konten der Herrscher, Regierenden und ihren Clans, die Korruption ist in diesen „Drittweltländern“das herrschende Prinzip. Dieses Prinzip ist jedoch nicht Afrika spezifisch, es ist vielmehr eine Kopie westlicher „Trickle- down- Ökonomie“, wie sie z.B. Präsident Reagan, einige seiner Nachfolger und andere westliche Regierenden zum Prinzip ihres jeweiligen kapitalistischen Wohlfahrtsstaates erhoben haben. Dieses Prinzip besagt: wenn man oben ( bei den Reichen) genügend Geld (in Form von Steuerermäßigungen) reinschüttet, dann versickert immer noch soviel, dass es für die Armen am unteren Ende noch reicht.
Die Engländer, die ja für ihren politischen Humor bekannt sind, sprechen von einer „Horse and Sparrow Ökonomie“. Horse ist das Pferd, sparrows sind die Spatzen. Das heißt also: wenn ich ein Pferd (die Reichen) richtig mit Hafer vollstopfe, dann bleibt hinten noch genügend für die Spatzen, nämlich die Armen übrig.
Dieses ökonomische Prinzip wurde gleichermaßen in der sogenannten Entwicklungshilfe angewandt. Man hat den Mächtigen der Entwicklungsländer weitgehend bedingungslos Milliarden von Dollars zur Verfügung gestellt in der Hoffnung, dass dann auch noch genügend für die Armen übrig bleibt. Dass dies so nicht funktioniert, hat sich längst erwiesen. Die Gelder flossen nicht etwa in Soziale Projekte, sondern auf Privatkonten in der Schweiz oder wurden in Immobilien (häufig in Europa) der korrupten Oberklasse geparkt. Die Familien des Kenyatta- Clans, des Daniel Arap Moi- Clans, des Kibaki-Clans gehören zu den reichsten Familien Afrikas. Sie besitzen die größten Farmen, Hotelketten, Nahrungsmittelindustrien (z.B. Molkereien etc).
Viele Staaten in Afrika sind bei IWF und Weltbank, bei Ländern wie China und Saudi Arabien bis zum Kragenknopf verschuldet, zum Teil müssen 50% des BIP zur Schuldentilgung verwendet werden. Diese Verschuldung geht immer auch einher mit einer, hauptsächlich vom IWF bedingungslos geforderten Austeritäts - Politik, das heißt, es wird gespart an
Infrastruktur( Hospitäler, Straßenbau, Schulen, Renten, Sozialleistungen etc.) und auch mit Privatisierung, das heißt, diese Staaten müssen sozusagen ihr Tafelsilber veräußern, um die Schulden samt Zinsen begleichen zu können.
Derartige Privatisierungen betreffen z.B. Staudämme und Elektrizitätswerke, Häfen, Eisenbahnen, Strassentrassen, Gold- und Uranminen ( siehe im Kongo, Namibia Uranmine usw). China baut Straßen, Eisenbahnen, Staudämme, lässt sich das alles aber mit Zins und Zinseszins bezahlen, zum Teil auch durch billigste Land-Pachtverträge, 1 ha Land zu 1$ /Jahr auf 99 Jahre ( Land grabbing) oder durch Übernahme von Land und Minen. Die derart gepachteten Landflächen bewegen sich in einer Größenordnung von bis zu 100000 ha fruchtbaren Ackerlandes, wobei für die Möglichkeit, dieses Land zu bewässern, der jeweilige Staat die Garantien geben muss.
Nun stellt sich natürlicherweise die Frage und Sie werden diese Frage auch an mich stellen: „warum Entwicklungshilfe unter solchen Bedingungen überhaupt. Kann man da etwas ändern? Oder ist das nicht alles hoffnungslos? Warum machen wir das alles und ist das nicht sinnlos? Die Antwort gibt uns unter vielen anderen, vor allem auch Afrikanern Dambisa Moyo, eine Frau aus Sambia, in Amerika aufgewachsen, an der Harward University ausgebildet, als Ökonomin bei Goldman Sachs tätig und von der New York Times zu den 100 wichtigsten Personen weltweit gezählt. Sie hat ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Dead Aid“ - Tödliche (Entwicklungs-) Hilfe.
Als gelernte Volkswirtschaftlerin geisselt sie dieses System der Korruption mit all den Seilschaften in Politik und Wirtschaft, ein gordischer Knoten des Großkapitals, den es zu verurteilen und zu zerschlagen gilt. Ein System, das auf Raub von Resourcen jeglicher Art und vor allem Landraub basiert. Wurde Afrika im Jahre 1884 auf der Berliner Konferenz regelrecht filetiert und unter den Kolonialmächten frei nach Gutsherren Art aufgeteilt, so wurde die Ausbeutung der afrikanischen Länder im 20. Jahrhundert nach der Gründung der Nationalstaaten durch einen regelrechten Raubkapitalismus noch auf die Spitze getrieben. Es gab keine Zeit, in der das einfache Volk, das vielfach in Subsistenzwirtschaft lebt, je vom Reichtum Afrikas profitiert hat. Vor allem die politischen Eliten haben es verstanden, die Entwicklungshilfegelder, die reichlich geflossen waren, in die eigene Tasche zu kanalisieren.
Die Gebernationen hatten sich dadurch die Ausbeutung der Resourcen und deren Nutzung für sich erkauft. Das alles nach dem probaten Mittel und Leitsatz: „Divide et impera!“ auf deutsch: suche dir die richtigen Leute selber aus, dann kannst du im Grunde machen, was du willst! Auf diese Art haben Verbrecher wie Mobutu Sese Seko im Kongo, Robert Mugawe in Simbabwe, Gaddafi in Libyen, Museweni in Uganda, dos Santos in Angola (seine Schwester gilt als reichste Frau Afrikas, sie ist Multimilliardärin) Jahrzehnte regiert und sich unermesslich bereichert. Die Gebernationen haben das alles gewusst und toleriert. Die große Mehrheit der Menschen in diesen Ländern lebt wie schon immer in bitterer Armut.
Wir müssen uns nun fragen, gibt es überhaupt eine Möglichkeit zu helfen und ist Hilfe sinnvoll, Dambisa Moyo spricht ja von tödlicher Entwicklungshilfe. Warum gehen wir nach Kenia, um dort zu helfen.
Da gibt es eigentlich nur eine Antwort: Hilfe ist dann nicht nur möglich, sondern zwingend, ja obligatorisch, wenn ein Mensch in größter Not ist und dringend Hilfe benötigt. Wir alle kennen das Gleichnis vom Samariter aus dem Lukas Evangelium. Ein Mensch - wir wissen von ihm so gut wie nichts- ist er Frau oder Mann, Kind oder Greis, Jude oder Römer, Verbrecher oder ein guter Mensch, das spielt alles keine Rolle- wir wissen nur, dass er überfallen wurde und halbtot im Straßengraben lag. Der Priester geht vorbei, der Levit geht vorbei, beide kennen die Heiligen Bücher in und auswendig, beide helfen nicht. Der Samariter, ein Häretiker, ein Außenseiter der jüdischen Gesellschaft kümmert sich, und rettet das Leben des Überfallenen.
Einem Menschen in größter Not muss geholfen werden! Die individuelle Notsituation ist das Kriterium und die Würde des Menschen gilt es ohne wenn und aber wiederherzustellen. Auch Dambisa Moyo ist dieser Meinung. Nicht dead aid ( tödliche Entwicklungshilfe), sondern first aid (Erste Hilfe) müssen und sollen wir leisten.
Kindern durch eine Schulspeisung den leeren Magen zu füllen, damit sie den ganzen Tag auch durchhalten können, damit sie im Falle einer Krankheit widerstandsfähig sind und auch überleben, dabei gleichzeitig die Familien zu entlasten, die oft nicht wissen, wie sie die Kinder ausreichend ernähren können -das ist erste Hilfe und es ist zwingend, diese Hilfe zu leisten.
Bei einem Tageseinkommen von 1€ kann sich niemand 1 Liter Milch leisten, der 1,40 € (z.B. in Kenia) kostet. Eine alleinerziehende Mutter mit 4-5 Kindern steht extrem unter Druck, diese ausreichend zu ernähren. Das gelingt nur sehr schwer, wenn sie Arbeit hat, und gar nicht, wenn diese fehlt.
Da ist in einer Lehmhütten ein halb voller Becher Porige oft das einzige, was an Essbarem vorhanden ist.
Neben ausreichender Ernährung sind natürlich auch im direkten Zusammenhang damit Krankheiten zu bekämpfen, die das Leben dieser Menschen oft genug bedrohen. Bei mangelnden hygienischen Grundvoraussetzungen, nicht vorhandener Krankenversicherung und mangelhafter Sorge des Staates ist das für den einzelnen Menschen und die Familien sehr schwer. Ich möchte anhand von Beispielen schildern, wie wir oft genug Menschen treffen, die durch Krankheiten in größte Not kommen.
Beispiel 1: Don Carlos, ein ca 9jähriger Junge, leidet an einer Encephalomalazie, das heißt an einer Gehirnerweichung. Diese Krankheit trat auf ca 1/2 Jahr nach der Geburt. Das Kind ist großteils gelähmt, völlig hilflos, muss gefüttert werden, hatte am Hinterkopf, am Rücken, an den Fersen einen Dekubitus, lebte in einer Lehmhütten mit 5 anderen Geschwistern und den Eltern, ohne Pampers, das Wasser musste von weit her geholt werden.
Die Eltern waren am Verzweifeln und kamen zu UBUNTU. Unsere Schwiegertochter Brenda ist ja ausgebildete Altenpflegerin und hat auch Erfahrung in Wundmanegment. Sie brachte den Jungen ins Krankenhaus, um den Dekubitus zu behandeln. Durch kontinuierliche Umlagerung und durch Wunddressing bekamen wir das relativ schnell in den Griff. Eine Terrasse auf dem Ubuntu-Grundstück wurde durch Baumassnahmen in ein Krankenzimmer umgewandelt, eines unserer Pflegebetten wurde hergerichtet. Don Carlos lag nun in einem sauberen Bett und nicht auf einer völlig verdreckten Matratze in der Lehmhütte seiner Eltern. Die Mutter kam täglich, um ihn zu säubern und zu füttern, ging dann wieder nach Hause, um sich um den Rest der Familie zu kümmern. Janet, eine unserer Mitarbeiterinnen, hat die Mutter dabei unterstützt und sie betreut.
In der Zwischenzeit haben wir die durch Dauerregen zerstörte Lehmhütte abgerissen und eine Hütte aus Wellblech gebaut mit Toilette und Dusche. Der Boden ist gefliest und gut sauber zuhalten. Don Carlos kann auch zeitweise bei der Familie leben. Die Eltern sind entlastet und dankbar. Der Vater arbeitet bei Ubuntu mit, alle haben zu Essen. Wir wissen nicht, wie lange dieses Kind überlebt, sind aber überzeugt, dass sich das alles gelohnt hat und wir würden das alles wieder so machen.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Tätigkeit ist eine Palliativ Versorgung bei Schwerst -Kranken, wo eine Heilung nicht mehr möglich ist. Das trifft vor allem zu bei Krebskranken, die aus Geldmangel viel zu spät ins Krankenhaus gehen und von dort meist sofort wieder weggeschickt werden. Sie kommen dann zu UBUNTU und wir begleiten dann den Lebensweg bis zum Ende, so daß die Betroffenen in Würde und ohne große Schmerzen sterben können.
Wir haben vor Jahren einen 7-jährigen Jungen mit 4 angeborenen Herzfehlern und 2 Klump Füssen nach Deutschland gebracht zur Operation ans Deutsche Herzzentrum in München. Er hatte eine Sauerstoffsättigung von 30%, die Ärzte konnten es nicht fassen, daß er bis dahin überlebt hatte und den Flug überstanden hatte. Ein Jahr nach der erfolgreichen Herz OP wurden in Bad Kreuznach die Füße operiert, heute kann der Junge Fußballspielen und geht ganz normal zur Schule.
Unser Projekt -Dorf Kasuna liegt am Äquator, wir befinden uns dort in den Tropen und dementsprechend gibt es dort Krankheiten, die wir hier nicht kennen. Die schwerwiegendste ist wohl die Malaria tropica. Sie wird von der Anopheles-Mücke in feuchten tropischen Regionen auf den Menschen übertragen und nach wie vor fallen hunderttausende Menschen jährlich weltweit dieser Krankheit zum Opfer. Am meisten sind Kinder unter 5 Jahren gefährdet. Sie leiden sehr schnell an Hirnödemen und geraten unter Zucker. Es gibt sehr wirksame Medikamente, die aber vor allem sofort gegeben werden müssen, um letztendlich ein Multiorgan -Versagen verhindern zu können. Mit Hilfe eines Schnelltests oder eines Bluttests unter dem Mikroskop kann man die Krankheit diagnostizieren. Bei Kindern sind häufig intensivmedizinische Maßnahmen erforderlich.
Eine weitere Krankheit hat hier in Ostafrika ihren Ursprung, ist vermutlich als Mutante von Schimpansen auf den Menschen übergesprungen und ist bekannt als HIV. Vor annähernd 40 Jahren wurde das HIV -Virus entdeckt und diese Infektion führte damals immer zum Tode. Es gibt heute zwar immer noch keinen Impfstoff, aber es gibt über 50 Medikamente, die in Kombination sehr gut wirken und die Viruslast so weit drücken, daß die infizierten Menschen gut überleben können. Die Medikamente müssen allerdings bis ans Lebensende genommen werden. Es gibt also letztlich keine Heilung, d.h. einmal infiziert - immer infiziert. In Deutschland kostet eine derartige Behandlung im Monat ca 1000.- bis 1300.- €, in Afrika stellt der Staat die Medikamente kostenlos zur Verfügung.
Kaum eine Familie ist von dieser Krankheit in Afrika nicht betroffen.
Zu den tropischen Krankheiten, mit denen wir in Afrika immer wieder konfrontiert werden, zählt zum Beispiel das Ulcus Buruli. Es handelt sich dabei um ein Geschwür meistens an den Beinen und wird verursacht von einem Mycobacterium. Auch Tuberkulose und Lepra werden z.B. von Mycobakterien verursacht. Diese Krankheit führt, wenn sie nicht behandelt wird, häufig zum Verlust des Beines. Hier in Europa gibt es diese Krankheit nicht. Die Diagnose ist schwierig, gelingt am sichersten mit einem PCR-Test, der aber in Kenia so nicht zur Verfügung steht. Die Behandlung erfolgt über diverse Antibiotica und bei großen Geschwüren zusätzlich durch eine Hauttransplantation.
Tuberkulose tritt auf als HIV-assoziierte Krankheit und kann natürlich nur im Zusammenhang mit einer HIV-Therapie behandelt werden. Die Wahrscheinlichkeit, daß bei einer Tuberkuloseerkrankung gleichzeitig eine HIV-Erkrankung vorliegt, ist immer sehr, sehr groß.
Die Reihe der häufigsten tropischen Krankheiten wird natürlich angeführt von Magen-Darminfektionen, die durch verschmutztes Trinkwasser hervorgerufen werden. Die Toiletten sind vielfach völlig unzureichend, die Brunnen zu wenig tief, das Oberflächenwasser, das auch häufig getrunken wird, ist immer verschmutzt. Es sind vor allem Kinder, die diesen Krankheiten zum Opfer fallen. An den Schulen wird meistens das Regenwasser von den Dächern in großen Plastiktanks gesammelt und getrunken. Da die Dächer natürlich von Vögeln verunreinigt werden, ist dieses Wasser alles andere als sauber.
Wir haben in Kasuna einen Tiefbrunnen, den wir dem ganzen Dorf zur Verfügung stellen. Das ist die beste Vorsorge gegen Darmerkrankungen. In Awasi, einem Ort ungefähr 15 km von Kasuna entfernt, haben wir einen Tiefbrunnen von 150 m gebaut für die dortige Sekundary School. Zuvor gab es dort für ungefähr 450 Schüler nur eine Zisterne mit schmutzigem Oberflächenwasser.
Daß es in diesen Ländern an vielem fehlt, was für uns so selbstverständlich ist wie vernünftiger Wohnraum, eine Krankenversicherung, sauberes Wasser, von Strom ganz zu schweigen ( dieser fällt, wenn man überhaupt ans Stromnetz angeschlossen ist, täglich über Stunden aus, weil der Staat kein Geld hat, ihn zu bezahlen), Müllentsorgung (das meiste wird von den Menschen einfach verbrannt. Auf den Mülldeponien in den Städten wie z.B. Kisumu leben Jugendliche und suchen sich im Müll ihr tägliches Essen.
Viele Kinder leben auf der Straße, sehr viele schnüffeln Klebstoff aus kleinen Flaschen und geraten zwangsläufig in den Drogensumpf.
Die Probleme sind dort unendlich. Unser Verein UBUNTU e.V. versucht in einem eng umschriebenen Raum in Kenia Hilfe zu sein für die Menschen, so, daß sie in ihrer Heimat eine Perspektive haben für ein menschenwürdiges Leben, manchmal auch für ein menschenwürdiges Sterben, wie ich versucht habe, es zu schildern.
Ich finde es wichtig und sehr gut, daß hier an ihrer schönen Schule die Kinder von diesem uns so fernen, fremden Kosmos erfahren und ihre Sinne geschärft werden für Menschen in Not. Vielleicht bleibt ihnen der Gedanke „UBUNTU - mir geht es nur gut, wenn es meinem Nachbarn auch gut geht“ in ihrer Erinnerung. Wir alle müssen uns - wenn wir wirklich in Frieden leben wollen in Zukunft - diesen Gedanken immer in all unserem Miteinander präsent und vor Augen halten.
Ich bedanke mich jetzt ganz herzlich für ihr Interesse und ihre Aufmerksamkeit und wünsche ihnen und ihren Kindern eine friedliche Zeit.
Bilder
Afrikanische Gesänge mit Trommeln und Rythmusinstrumenten, dargeboten von den Schulklassen in Inchenhofen. Zöpfe flechten auf afrikanisch!